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Magnitsky Act
EU verabschiedet Gesetzgebung zur Sanktionierung von Menschenrechtsverletzungen

EU verabschiedet Gesetzgebung zur Sanktionierung von Menschenrechtsverletzungen
© picture alliance | CHROMORANGE / Bilderbox

Die EU-Außenminister haben sich  auf ein neues Sanktionsinstrument zur individuellen Ahndung von Menschenrechtsverletzungen geeinigt und damit ein wichtiges Zeichen im Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen und Straflosigkeit weltweit gesetzt. Der an die sogenannten „Magnitsky-Gesetze“ angelehnte Sanktionsmechanismus macht es möglich, gezielt diejenigen zu sanktionieren, die für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind. Als Vorbild für den EU-Sanktionsmechanismus dient der sogenannte „Global Magnitsky Act“ der USA. Der Name geht auf den russischen Steuerberater  Sergei Magnitski zurück, der Korruption unter russischen Beamten untersuchte und 2009 in Untersuchungshaft starb, nachdem er misshandelt worden war. Die Schuldigen am Tod Magnitskis wurden daraufhin mit persönlichen Sanktionen belegt.

Im Rahmen des jetzt beschlossenen europäischen Sanktionsmechanismus können individuelle Einreiseverbote verhängt oder Konten von Einzelpersonen gesperrt werden, die systematisch an Menschenrechtsverletzungen wie Menschenhandel, Völkermord, außergerichtlichen Tötungen oder sexueller Gewalt beteiligt sind. Mit der Entscheidung zeigt die Europäische Union als Wertegemeinschaft, dass sie bereit ist, ihren Worten Taten folgen zu lassen, systematisch gegen Menschenrechtsverletzungen vorzugehen und diese konsequent zu ahnden. Gleichzeitig kommt sie ihrem Selbstanspruch, eine größere Durchsetzungskraft in der Außen- und Sicherheitspolitik zu erlangen, damit näher.

Wichtiges Zeichen zur Verteidigung der Menschenrechte

Die vielen Krisen der vergangenen Monate haben uns deutlich vor Augen geführt, wie überfällig ein solcher Sanktionsmechanismus ist. Bisher hatte die EU kaum Möglichkeiten, schnell, zielgenau und individuell auf Menschenrechtsverletzungen zu reagieren. Das zeigte sich in schockierender Weise beim Mord an dem Journalisten Jamal Kashoggi, als sich die Staatengemeinschaft nicht auf gemeinsame Sanktionen einigen konnte. Der Druck auf die Europäische Union, einen derartigen Mechanismus einzuführen, stieg in den vergangenen Monaten erheblich. Ein ausschlaggebender Grund war auch die Vergiftung des russischen Oppositionellen Alexej Navalny im September. Seit Jahren setzt sich auch der russische Oppositionelle Vladimir Kara-Murza – langjähriger Berater des ermordeten Politikers Boris Nemtsov und Partner der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, der selber zwei Mordanschläge überlebte – für eine „Magnitsky-Gesetzgebung“ ein. Der Vorschlag, das Gesetz nach Navalny zu benennen, wurde von dem EU-Außenministern nicht aufgegriffen. In Deutschland hatte die FDP-Fraktion im September einen Antrag für einen individuellen Sanktionsmechanismus eingebracht.

Bisher konnten Sanktionen fast ausschließlich gegen Staaten oder allein im Rahmen von speziellen Sanktionsmechanismen – wie im Kampf gegen Cyberangriffe oder den Einsatz von Chemiewaffen – verhängt werden. Getroffen wurde mit diesen wirtschaftlichen Sanktionen jedoch allzu oft die Zivilbevölkerung, während sich die politisch Verantwortlichen persönlich bereicherten, ihr Vermögen ins Ausland schafften und es dort ungestraft und ungestört mit vollen Händen ausgaben. Besonders viel Potential haben die europäischen „Magnitsky-Gesetze“ daher, wenn Menschenrechtsverletzungen dort, wo sie verübt werden, strafrechtlich nicht verfolgt werden – weil die Regierung wie in Hongkong oder Belarus Verstöße duldet oder aktiv unterstützt.

Zugleich kann ein individueller Sanktionsmechanismus kein Ersatz für strafrechtliche individuelle Verantwortlichkeit sein. Vielmehr ist es ein zusätzliches Instrument, um die Kette von Menschenrechtsverbrechen zu unterbrechen und ihr einen Riegel vorzuschieben, ehe es zu einer späteren Strafverfolgung kommt.

Schlagkraft des Sanktionsmechanismus weiter vorantreiben

Somit ist die Einführung dieses Mechanismus – unter der Ägide der deutschen EU-Ratspräsidentschaft – ein wichtiges Zeichen und ein Meilenstein im Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen weltweit. Seine volle Schlagkraft kann das Sanktionsinstrument jedoch erst entfalten, wenn für die Verhängung von personenbezogenen Sanktionen auf EU-Ebene eine qualifizierte Mehrheit – anstatt dem bisher herrschenden Einstimmigkeitsprinzip – ausreicht. Die EU-Kommission und der Europäische Auswärtige Dienst hatten sich dafür eingesetzt, das Einstimmigkeitsprinzip bei Sanktionsentscheidungen aufzuweichen, konnten sich damit allerdings bisher nicht durchsetzen.

Außerdem ist in dem jetzt verabschiedeten Entwurf Korruption als Straftatbestand explizit nicht miteinbeschlossen. Doch genau in diesem Bereich hat der Mechanismus jedoch das Potential, die Verantwortlichen empfindlich zu treffen und den Kreislauf von Geld- und Machtanhäufung durch Oligarchen und Klientelismus, wie wir ihn beispielsweise in Russland beobachten, einen Riegel vorzuschieben. Hier muss daher nachgebessert werden.

Und auch auf deutscher Seite bleibt noch vieles zu tun. Während die EU-weite Regelung eine besondere Schlagkraft entwickeln kann, ersetzt sie nicht die Einführung eines solchen Mechanismus auf nationaler Ebene. Staaten wie Großbritannien, Kanada, die USA und die baltischen Staaten sind in den vergangenen Jahren bereits mit gutem Beispiel vorangegangen und haben einen solchen Sanktionsmechanismus auf nationaler Ebene verankert. Wie effektiv und schnell umsetzbar eine derartige Gesetzgebung sein kann, zeigt die Sanktionierung des belarusischen Machthabers Aleksandr Lukashenko durch Litauen oder die Verhängung von personenbezogenen Sanktionen seitens Großbritannien gegen die Verantwortlichen im Kashoggi-Mord. 

Die EU-Entscheidung sollte der Bundesregierung daher als Ansporn dienen, auch auf nationaler Ebene ein an die „Magnitsky-Gesetze“ angelehnten Sanktionsmechanismus einzuführen.