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400 Jahre Reiseland Indonesien: Von Sabang bis Merauke

Indonesien

Indonesien – die „indischen Inseln“, eine griechische Wortschöpfung aus Indo- für Indien und nesos für Insel –  ist in Deutschland nur wenig bekannt. Das war um die 1920er Jahre anders. Damals war Indonesien, ohne bereits formal zu existieren, ein Begriff: Bei den Jugendlichen wegen der Reiseabenteuerliteratur, bei den Älteren aufgrund von Kunst und Kultur. Damals hieß es noch Niederländisch-Indien. Als Republik Indonesien entstand es erst 1945 – nach Auffassung seiner ehemaligen Kolonialmacht Holland gar erst 1949.

Heute ist Indonesien mit 274 Millionen Einwohnern der weltgrößte Inselstaat mit rund 17.500 Inseln.  25% der Einwohner sind unter 14 Jahren. Zum Vergleich: in Deutschland sind es nur 12%. Es ist ein junges Land, dazu ein digitales Land, ein Land mit hohem Wirtschaftswachstum, es ist das weltweit größte muslimische Land, die weltweit drittgrößte Demokratie – die Liste lässt sich fortsetzen.

Warum ist es dennoch vielen Menschen unbekannt? Bis zum G20-Gipfel, der 2023 auf Bali stattfand, dachten viele, Bali sei ein unabhängiger Staat und nicht integraler Bestandteil Indonesiens. Der Gipfel änderte das. Indonesien wurde, zum eigenen Erstaunen, weitaus stärker als zuvor international wahrgenommen. Indonesien war bis dahin an internationaler Aufmerksamkeit mit Ausnahme der Bandung-Konferenz 1955 als erster asiatisch-afrikanischer Konferenz kaum gelegen. Oft scheut Indonesien eher das Rampenlicht. So tut es sich bis heute auch als größter Mitgliedstaat des Staatenverbunds südostasiatischer Staaten (ASEAN) nicht hervor. Eine Erklärung dafür mag sein, dass es mit der Mentalität auf der zwar nicht größten, aber seit Jahrhunderten im Archipel einflussreichsten Insel Java zu tun habe. Die javanische Kultur ist eine ruhige, höfliche und auf Ausgleich bedachte Kultur. Aufmerksamkeit – im Guten wie im Schlechten – zu erregen, ist verpönt.

Doch kommen wir zu Indonesien als Reiseland.

Indonesische Inseln rückten in den Fokus ab dem 16. Jahrhundert, als das Drängen in Europa begann, die Herkunftsgegenden der Gewürze, die teuer von italienischen und türkischen Händlern erworben wurden, zu entdecken. Nachlesen lässt sich diese Entwicklung in Stefan Zweigs biografischem Roman „Magellan“, in dem er die Anreize für die damaligen Entdeckungsfahrten nachzeichnet. Für das speziell deutsche Interesse in der Anfangszeit hält die Lektüre von Peter Kirschs „Reise nach Batavia. Deutsche Abenteurer in Ostindien 1609-1695“ Details bereit. Zugang zu der zu weiten Teilen grausamen Geschichte des heutigen Indonesiens bieten die über das Land verteilten Festungen der Seefahrernationen, so der Briten, der Portugiesen, der Holländer, der Spanier. Das wenigste ist erhalten geblieben, doch es vermittelt einen Eindruck: ob das britische Fort Marlborough auf Sumatra, portugiesische Forts auf Tidore oder holländische Festungen auf den Banda-Inseln im Osten Indonesiens. Die Holländer konnten sich als Kolonialmacht insgesamt rund 350 Jahre lang in Indonesien halten. Ein kurzes britisches Intermezzo 1811-15 tat dem keinen Abbruch. Eine langfristige Folge hatte es allerdings, denn seitdem fahren Fahrzeuge in Indonesien auf der linken Straßenseite.

Die entlegenen Banda-Inseln z.B. machten weltpolitisch Geschichte. Sie sind der Herkunftsort der Muskatnuss, die über Jahrhunderte teurer als Gold waren und u.a. als Mittel gegen die Pest verwendet wurden. Bis heute lassen sich auf den Banda-Inseln zahlreiche Überbleibsel aus dieser Zeit finden, Muskatnussplantagen besuchen, Muskatnussprodukte wie Muskatnusssirup erwerben, eine beeindruckende Unterwasserwelt erleben oder mit kleinen Verkehrsflugzeugen erahnen, wie wichtig die richtige Beladung von Flugzeugen ist. Denn zwecks optimaler Auslastung wird hier nicht nur das Gepäck, sondern auch der Passagier gewogen. Eine der Banda-Inseln, die Insel Run, wurde 1667 von den Engländern gegen das damals niederländische Manhattan eingetauscht.

Bali wurde bereits erwähnt. Seit bald Jahrhunderten übt es eine ungebrochene Faszination auf andere Völker aus. Heute ziehen seine Wellen Surfer aus aller Welt an. Hobby- oder Profitaucher erfreuen sich an Korallen und Wracks. Die idyllischen Berglandschaften mit Vulkanen wie dem Agung sowie die stark hinduistisch geprägte Kultur ziehen Massen an, die auf Bali Ruhe und Inspiration suchen.

In Denpasar gibt es das Agung Rai Museum of Art, das einzige Museum auf Bali, in dem Gemälde von Walter Spies (1895-1942) ausgestellt sind. Wie kommt ein Deutscher zu solch einer Bedeutung, tausende Kilometer entfernt von seiner Heimat? Walter Spies kam 1923 nach Batavia, dem heutigen Jakarta und lebte seit 1927 auf Bali. Gefördert vom dortigen Fürsten Tjocorde Gede Agung Sukawati befasste er sich eingehend mit der balinesische Malerei. In den 1930ern wurde sein Haus zum kulturellen Zentrum Balis: Künstler, Schauspieler, Schriftsteller und Musiker aus Bali und aus aller Welt waren zu Gast bei ihm. Insbesondere exotische Vorstellungen wurden bedient, so z.B. durch Vicki Baums Roman „Liebe und Tod auf Bali“ (1937).

Der Zweite Weltkrieg setzte dem ein Ende – genauer gesagt, der Einmarsch Deutschlands 1941 in die Niederlande. Die zahlreichen Deutschen, die in Niederländisch-Indien als Plantagenverwalter, Ärzte, im Bergbau und vielen anderen Bereichen tätig waren, wurden auf der Jakarta vorgelagerten Insel Onrust interniert und später deportiert. Die zurückbleibenden Mütter und Kinder kamen auf Geheiß der japanischen Besatzer 1942 in das abgelegenen zentraljavanischen Bergdorf Sarangan. Hier bestand bis 1949 eine deutsche Schule, die unter dem ersten indonesischen Präsidenten Sukarno später auch für die Sportausbildung indonesischer Soldaten genutzt wurde.

 „Von Sabang bis Merauke“ heißt es in Indonesien, wenn man auf die Größe des Landes anspielt und das gesamte Land meint. Die Insel Sabang (auch: Pulau Weh) bildet den westlichsten Teil Indonesiens und gehört zu Sumatra, Merauke ist der östlichste Punkt und liegt auf Papua.

Diente Papua schon zu holländischen Zeiten als Internierungsort für unabhängigkeitsorientierte Indonesier, so war es auch Betätigungsfeld von ausländischen christlichen Missionaren und Fundort zahlreicher Bodenschätze wie Gold, Silber, Erdöl und -gas. Dieses Erbe beschäftigt bis heute die indonesische Regierung. Die Papua sind mehrheitlich christlich oder animistisch, doch sind seit der indonesischen Unabhängigkeit 1945 viele muslimische Javaner aus Platzgründen in andere Teile des Landes „transmigriert“ und brachten dadurch gewachsene Strukturen aus der Balance. In Papua äußert sich das konkret in muslimischem Einfluss sowie in starker politischer Einflussnahme. Obwohl durch die Bodenschätze viel Einkommen generiert wird, hat die einheimische Bevölkerung kaum Anteil daran. Eine Verbesserung ihrer Lage ist nicht zu erkennen: Die hohen Summen, die die Zentralregierung in Papua investiert, flössen in Infrastruktur, die der besseren Beherrschung der Bevölkerung dienten, resultierten aber nicht in besseren Lebensbedingungen. Hier wird allerdings außen vorgelassen, dass Korruption bei der einheimischen Elite ein großes Problem ist – und nicht nur dort; es ist ein generelles Problem in Indonesien. Indonesien ist auf Rang 110 von 180 Ländern. Seit 2019 nimmt die Korruption gemäß dem Corruption Perception Index sogar jährlich wieder zu. Das ist keine gute Entwicklung. Am 14. Februar 2024 finden die nächsten Präsidentschaftswahlen statt. Der jetzige, sehr beliebte Präsident Joko Widodo kann nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten. Möge sein Erbe in gute Hände kommen, so dass alle – von Sabang bis Merauke – davon profitieren.

Dr. Almut Besold lebte von 2018 bis 2023 in Jakarta und leitete die Projektarbeit der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Indonesien und Malaysia.