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Ostafrika
Kenia nach der Wahl: Reife Demokratie? Leider doch nicht!

Kenia nach der Wahl: Reife Demokratie? Leider doch nicht!
Der gewählte kenianische Präsident William Ruto

Der gewählte kenianische Präsident William Ruto

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Mosa'ab Elshamy

Gut eine Woche nach der Präsidentschaftswahl steht Kenia vor einem politischen Scherbenhaufen. Es gibt einen gewählten Präsidenten, William Ruto, bisher Vize-Präsident in der Regierung von Uhuru Kenyatta. Doch ob und wann er das Amt antreten wird, ist völlig offen. Vier der sieben Mitglieder der Wahlkommission IEBC tragen das vom Kommissionspräsidenten verkündete Wahlergebnis nicht mit. Raila Odinga, der knapp unterlegene Hauptkontrahent von Ruto hat angekündigt, alle rechtlichen Schritte zu unternehmen, um das Ergebnis anzufechten. Wahrscheinlich wird er noch in dieser Woche offizielle Beschwerde beim Supreme Court einlegen. Annullierung der Wahl, Neuauszählung der Stimmen, Bestätigung des Wahlsiegers Ruto – all das scheint im Moment möglich, nur keine schnelle Rückkehr zur politischen Normalität.

Dabei hatte es knapp eine Woche so ausgesehen, als habe Kenia das Trauma der vergangenen Wahlgänge überwunden. Gewalt und Manipulationsvorwürfe hatten die Präsidentschaftswahlen 2007, 2013 und 20017 überschattet. 2007 starben bei Unruhen über eintausend Menschen, 2017 annullierte der Supreme Court das Wahlergebnis wegen Unregelmäßigkeiten bei der Durchführung. All das sollte sich 2022 nicht wiederholen. Dafür warben über Monate zivilgesellschaftliche Gruppen, Kirchen und internationale Organisationen mit Kampagnen, Friedensgebeten und Konzerten. Vor allem aber versuchte die nationale Wahlkommission IEBC, die für die Vorbereitung und Durchführung der Wahlen verantwortlich ist, die Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen.

Sechs Tage lang kam das öffentliche Leben in Kenia zum Stillstand

Mit Erfolg – so war lange der Eindruck. Der eigentliche Wahltag, der 9. August, verlief weitgehend friedlich und störungsfrei. In 99,5 Prozent der mehr als 46.000 Wahllokale funktionierte das elektronische System zur Identifizierung der Wahlberechtigten. Nach der Stimmabgabe gingen die meisten friedlich nach Hause.

Dann begann das Warten. Qualität vor Geschwindigkeit hatte sich die IEBC selbst verordnet. Geduldig verfolgte die Nation den Weg der Formulare mit den Ergebnissen der 291 Wahlbezirke, die physisch zur Wahlzentrale nach Nairobi gebracht wurden. Dort verglichen die sieben Mitglieder der IEBC-Kommission das Original mit der zuvor geschickten elektronischen Kopie. Anschließend wurde das Ergebnis auf einem frei zugänglichen Portal online gestellt.

Sechs lange Tage dauerte dieser Prozess, sechs Tage, in denen das öffentliche Leben in Kenia weitgehend zum Stillstand kam. Nur die TV-Sender berichteten rund um die Uhr über den Fortschritt des Wahlprozesses. Die Kommentatoren waren sich einig: Alles friedlich, fair und transparent – die kenianische Demokratie ist erwachsen geworden. So auch das Urteil der internationalen Wahlbeobachter.

Das Chaos begann

Doch dann beginnt das Chaos. Die angekündigte Bekanntgabe des Wahlergebnisses verzögert sich über Stunden. Während ein Chor in bunten Kostümen versucht, die Pause zu überbrücken, rennen Menschen hektisch durch das Wahlcenter. Plötzlich geben vier Mitglieder der IEBC-Kommission in einem nahen Hotel ein kurzfristig anberaumtes Pressestatement. Wegen der unklaren Vorgänge in den letzten Stunden trügen sie das Ergebnis, das gleich verkündet werde, nicht mit.

Im Wahlcenter kommt es unterdessen zu einem Gerangel, die Mutter von Vize-Präsident Ruto wird sicherheitshalber aus dem Saal geführt. Erst dann verkündet der IEBC-Kommissionsvorsitzende Chebukaki das Ergebnis: 50,5 Prozent für William Ruto, 48,8 Prozent für Raila Odinga. Während der strahlende Ruto seine erste Rede als „President elected“ hält, fragen sich die Beobachter erstaunt, was da schiefgelaufen ist. Wie konnte das mühsam aufgebaute Vertrauen in eine faire, transparente Wahl auf den letzten Metern so kaputtgemacht werden?

Man habe ihnen am Tag der Ergebnisverkündung den Zugang zu den Formularen mit den Ergebnissen von mehr als 20 Wahlkreisen verweigert, werden die vier abtrünnigen Kommissionsmitglieder am nächsten Tag zur Begründung ihres Votums sagen.

Chebukaki, der Vorsitzende der IEBC-Kommission habe gar nicht das Recht gehabt, ohne die mehrheitliche Zustimmung der Kommissionsmitglieder ein Wahlergebnis zu verkünden, so argumentiert der unterlegene Raila Odinga bei seiner Ankündigung das Ergebnis anzufechten.

Demonstrationen gegen das offizielle Wahlergebnis

Verlierer in dem unwürdigen Spiel sind ein weiteres Mal die demokratische Kultur in Kenia und die einfachen Kenianer, die durch Corona, Dürre und steigende Lebensmittelpreise aufgrund des Ukrainekriegs ohnehin vielfach gebeutelt sind. Das öffentliche Leben ist bereits die zweite Woche weitgehend zum Stillstand gekommen. Viele Geschäfte sind geschlossen und die Straßen ungewohnt leer, weil die Menschen dem Frieden nicht trauen und zu Hause abwarten, wie es weitergeht.

Demonstrationen gegen das offizielle Wahlergebnis gab es bisher in den Hochburgen von Raila Odingas Azimio-Koalition in Kisumu und Mombasa sowie in einigen Slums in Nairobi. Dabei flogen Steine, Autoreifen wurden in Brand gesteckt. Die Bilder, die davon in die Welt gehen, sind nicht gut für das Tourismusziel Kenia. Doch größere Angst haben die Menschen vor organisierten Gewaltausbrüchen zwischen den ethnischen Gruppen der beiden Hauptkonkurrenten wie im Jahr 2007.

Man kann nur hoffen, dass Kenia zumindest diese Lektion gelernt hat und die Wut über die Wahl nicht mit Gewalt auf der Straße austrägt.

Stefan Schott ist Projektleiter Ostafrika der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit mit Sitz in Nairobi.